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Wie sprechen Götter? Vormoderne Kommunikationsszenarien in Text und Bild (Tag 3)

Anmeldung und Zoom-Link bei PD Dr. Beatrice Trînca (beatrice.trinca@hu-berlin.de) oder Dr. Emrys Schlatter (Emrys.Bell-Schlatter@fu-berlin.de)
Der interdisziplinäre Workshop setzt sich zum Ziel, Vormoderne-Spezialisten* miteinander ins Gespräch zu bringen, die die Text- und Bild-Traditionen der Antike und des Mittelalters daraufhin befragen, wie Götter sprechen. Sprechen sie anders als Menschen? Welche rhetorischen bzw. argumentativen Raffinessen legen ihnen Autoren in den Mund? Zitieren sich Götter selbst? Wie klingt ihre Stimme, ist sie laut oder leise, kommt sie von außen oder von innen, ist sie für viele oder nur für einzelne hörbar? Singen Götter? Genauso fragt es sich, wann und an welchen Orten, mit wem und weshalb sich Götter des Mediums Sprache bedienen. Benötigen sie dafür einen menschlichen Mund? Werden sie nur gehört, oder auch verstanden? Ist ihr Sprechen eine Metapher? Welche nonverbalen Zeichen begleiten ihre Rede? Was bedeutet ihr Schweigen? Wie weisen sie sich überhaupt als Götter aus – und welchen Stellenwert haben anonyme göttliche Stimmen? Darüber hinaus interessiert der Einsatz von Boten oder Propheten, auf die Götter angewiesen sein können. Aus der Perspektive des Auditiven soll ergänzend der Blick auf das Visuelle gerichtet werden. Gehen Auditionen immer mit Visionen einher? Setzen göttliche Äußerungen Traum- oder Ekstase-Zustände voraus? Was nimmt dabei das (innere oder äußere) Auge wahr? Wie wird göttliche vox articulata im Medium Bild repräsentiert? Gleichwohl stellt sich die Frage, ob Götter ihre Dialogpartner berühren. Auf der Adressatenseite wäre zu untersuchen, wie die Angesprochenen reagieren. Empfinden sie es als unerwünschte oder herbeigesehnte Auszeichnung, als Strafe oder Glück, wenn sie von diesen höheren Instanzen adressiert werden? Stehen ihnen die Haare zu Berge, ängstigen sie sich, fühlen sie sich göttergleich? Welche Medien halten göttliche Rede fest, lässt sie sich überhaupt speichern?
In den Kulturen des antiken Mittelmeerraums erzeugt die Vielzahl der jeweiligen Götter eine redefreudige und polyphone Götterwelt. Ihre Autorität steht zum Beispiel am Beginn der griechischen Dichtung, hauchen doch die Musen Hesiod und Homer göttlichen Gesang ein (Theogonie 22–35). Die Stimme der Götter wird ferner an Orakelstätten hörbar, etwa aus dem Mund der pythischen Priesterin in Delphi oder im Rauschen der Eichenblätter in Dodona, aber auch im Donnerschlag oder Zufallswort (Kledonomantie; vgl. auch Augustin, Confessiones 8, 12.29: tolle, lege!). Unmittelbar verständlich ist ihre vox articulata in Schlachtepiphanien, als umstrittenes Daimonion bei Sokrates, oder als Aius Locutius, der aus einem einsamen Hain die Römer vor dem gallischen Angriff warnt (Livius 5, 50, 5). Göttergespräche können über das Schicksal epischer Heroen entscheiden (Homer) oder sich als komischer Mythenkommentar gestalten (Lukian). Wie sprechen also im Laufe der Jahrhunderte die Götter der Griechen und Römer, aber auch die Götter der Ägypter, Phönizier oder anderer antiker Kulturen? Auch wenn sich später die Koordinaten des Religiösen grundlegend ändern, kommt in der christlichen Heilsgeschichte ein weiter Sprachbegriff gleichermaßen zum Tragen. „[V]on allen Seienden wurde das Sprechen allein dem Menschen gegeben“ (Dante, De vulgari eloquentia II,1–3), davor aber sprach Gott: „Es werde Licht!“ (Genesis 1,3) Gottes Wort ist – so bringt es Augustin auf den Punkt (Confessiones 11,7.9.) – gleichewig mit ihm. In der Überzeitlichkeit spricht Gott alles, was er spricht, simultan und ewig, wenngleich nicht alles, was er dadurch erschafft, gleichzeitig entsteht und die Jahrhunderte überdauert. Als Paulus ins Paradies entrückt wird – „ob im Leib oder ausserhalb des Leibes, weiss ich nicht, Gott weiss es“ –, hört er „unsagbare Worte […], die kein Mensch aussprechen darf“ (2. Korintherbrief 12,3f.). Dieser Bericht gibt den Ton an für die vielen Mystiker des Mittelalters, die Gott unter anderem in ungefeiltem Latein sprechen hören und seine Rede „nicht nach Menschenmund“ wiedergeben (Hildegard von Bingen, Scivias, Prot. 12). Ihren Anhaltspunkt bildet stets die Bibel, die das semantisch überdeterminierte Wort Gottes bewahrt. Viele antike Götter geraten im Mittelalter nicht in Vergessenheit. Ändert sich ihre Redeweise im neuen Kontext? Neben kulturspezifischen Konstruktionen sprechender Götter in diachroner Perspektive fragen wir nach Transformationen durch Kulturkontakt besonders in Epochen des Übergangs. Erwünscht sind Untersuchungen von Inhalt und Form göttlicher Rede sowie von Situationen, in denen sich göttliche vox articulata hören oder erahnen lässt. Diese sollen mit fächerspezifischen Methoden adressiert werden, um ein Sprechen analytisch zu erfassen, dessen Bandbreite das Herkömmliche (Profane) weit überschreitet.
Sa. 27.5.2023
9.30 Ankunft
Moderation: Carolin Pape (FU Berlin)
10.00–11.00 Lea Braun (HU Berlin): Dunkle Botschaften. Prophetische Rede und ihre Einhegung in der mittelhochdeutschen Epik des 12. Jahrhunderts
11.00–11.15 Pause
Moderation: Beatrice Trînca (HU Berlin)
11.15–12.15 Sarina Tschachtli (Basel): Himmelsbriefe (online)
12.15–13.15 Mittagessen
Moderation: Carolin Pape (FU Berlin)
13.15–14.15 Andreas Kraß (HU Berlin): Insprinc haftbandun! Wie sprechen die Götter in den „Merseburger Zaubersprüchen“?
14.15–15.00 Abschlussdiskussion