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„Ich bin, dies Werk entwerfend, auf einer Meerfahrt begriffen“. Helmina von Chézy (neu) lesen

9. März 2023, 14:00 - 18:00

Zuschaltung über Zoom möglich: Anmeldung bei Prof. Dr. Frederike Middelhoff: middelhoff@em.uni-frankfurt.de/ PD Dr. Martina Wernli: wernli@lingua-uni-frankfurt.de

4. Workshop der Reihe Kalathiskos. Autorinnen der Romantik, organisiert von Frederike Middelhoff und Martina Wernli

Wilhelmina von Chézy, geb. Klencke (1783-1856), war eine Ausnahmeerscheinung: Schon mit vierzehn Jahren schrieb die gebürtige Berlinerin ihre ersten literarischen Texte, wurde achtzehnjährig Korrespondentin in Paris und publizierte bis zu ihrem Lebensende eine bislang noch immer nicht übersichtlich zusammengestellte und editorisch aufbereitete Vielzahl von Gedichten, Erzählungen, Romanen, Reiseschriften, Schauspielen, Libretti, Literatur- und Kunstkritiken, Übersetzungen und journalistischen Texten.

Chézy nutzte das Renommee ihrer Großmutter Anna Louise Karsch als Werbestrategie für ihre eigenen Texte (vgl. Gedichte der Enkelin der Karschin (1812); Neue auserlesene Schriften der Enkelin der Karschin (2 Bde., 1817/18), machte sich aber frühzeitig auch einen eigenen Namen als Schriftstellerin – und publizierte vornehmlich unter dem Namen Helmina v. Chézy. In den romantischen Zirkeln genoss sie nicht nur für ihre literarischen und journalistischen Arbeiten, sondern auch für ihr soziopolitisches Engagement großes Ansehen: für die Zeitschrift Europa schrieb sie Kunst- und Kulturberichte aus Paris; mit E.T.A. Hoffmann gelang ihr der Freispruch vor dem Kammergericht, wo sie sich im Anschluss an ihre selbstorganisierte Hilfsaktionen für Kriegsverletzte (u.a. nach der Schlacht von Hanau) einer Verleumdungsklage ausgesetzt sehen musste; ihr „großes romantisches Schauspiel“ Rosamunde (1823) wurde von Franz Schubert, ihr Libretto Euryanthe (1822/23) von Carl Maria von Weber vertont (vgl. Panagl 2011); mit Adelbert von Chamisso übersetzte sie August Wilhelm Schlegels Vorlesungen.

Chézys literarische Aktivität und briefliche Vernetzung mit den wichtigsten Intellektuellen um 1800 (vgl. Kalliope-Netzwerk) ging über romantische Dichtung und kulturelle Berichterstattung weit hinaus. So widmete sie sich, u.a. mit ihrem zweiten Ehemann, dem Orientalisten Antoine Léonard de Chézy, philologischen und komparatistischen Fragestellungen, blieb aber bei der Analyse und Interpretation von Sprache, Schrift und Mythologie nicht stehen. Dass ihre Perspektive auf die Pariser Kunst, Kultur und Gesellschaft, der heute als bedeutsamer Beitrag zum deutsch-französischen Kulturtransfer um 1800 wahrgenommen wird (Strobel 2010), im Gegensatz zu vielen anderen zeitgenössischen Beiträgen über die Metropole keineswegs unpolitisch und unkritisch eingestuft wurde, zeigt schon die Tatsache, dass ihr monumentales Buch Leben und Kunst in Paris seit Napoleon I., das 1805/07 in Weimar erschien (wo 1806 wiederum französische Truppen einfielen) von der napoleonischen Administration konfisziert wurde (vgl. Savoy 2009). Der politische und sozialkritische Gestus, der zahlreiche ihrer Schriften auszeichnet, rückt Chézy als engagierte Kommentatorin der politischen Umbrüche im (post‑)napoleonischen Europa und der gesellschaftlichen Problemlagen in den Blick, die die Rolle der Frau ebenso betreffen wie die Erfordernisse einer gerechten Sozialpolitik für alle Schichten, Bevölkerungs- und Altersgruppen.

Doch während Bettina von Arnim mittlerweile als sozialkritisch agierende und literarisch avancierte Schriftstellerin an der Schnittstelle von Romantik und Vormärz bekannt ist (u.a. durch die hist.-krit. Ausgabe ihrer Schriften und ein umfassendes, 2019 erschienenes Handbuch), sind Forschungsbeiträge zu Helmina von Chézy nach wie vor rar. Eine Edition, die ihr umfangreiches, oftmals in namhaften Zeitschriften weitläufig verstreutes Werk (inkl. der u.a. in Berlin, Tübingen und Krakau lagernden Handschriften und Briefe) versammelt, kommentiert und kontextualisiert, bleibt ein Desiderat. Der Workshop nähert sich diesem Desiderat, indem er sich den Herausforderungen der medialen und ästhetischen Heterogenität, der multilingualen Diversität sowie der thematischen Komplexität der Schriften Helmina von Chézys und den verschiedenen Publikationskontexten und -strategien der Autorin stellt und in Form von Einzelstudien Tiefenbohrungen vornimmt.

Die Veranstaltung findet im Rahmen der Workshopserie Kalathiskos – Autorinnen der Romantik statt, die sich den vergessenen und in Forschung und akademischer Lehre größtenteils marginalisierten Schriften und künstlerischen Beiträgen von Frauen widmet, die sich dem literatur- und kulturgeschichtlichen Netzwerk der deutschsprachigen Romantik zuordnen lassen. Der Workshop findet in Präsenz statt, es gibt allerdings die Möglichkeit der digitalen Teilnahme.

Die Beiträge des Workshops nehmen daher (Re-)Lektüren der literarischen, translatorischen, kunst- und kulturkritischen sowie der musikkompositorischen Schriften Helmina von Chézys vor und sind interdisziplinär ausgerichtet.


Donnerstag, 09. März 2023

14:00   Begrüßung und Einführung (Frederike Middelhoff & Martina Wernli)

14:30 Selma Jahnke (Berlin): Der Wert des Namens. Aushandlungen von Standes-, Gender- und Nationalitätsmodellen in den Texten Helmina von Chézys

15:30 Charlotte Zweynert (Hannover): Wirksamkeit und Vermögen. Helmina von Chézy als Akteurin der Zeitenwende um 1800

17:00 Christiane Holm (Halle-Wittenberg): Romantische Reportagen. Überlegungen zu Helmina von Chézys journalistischen Arbeiten in Paris (1801-1810)

 

Veranstaltungsort

Zoom

Veranstalter

Goethe-Universität Frankfurt am Main